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Kober-Studie
1.Thema
2.Begriff Zwangsarbeiter
3.Zwangsarbeiterdiskussion
4.Metzingen im 3. Reich
5.Das
6.Leben als Zwangsarbeiter
7.Die Firma Hugo Boss
8.Positive Beispiele
9.Schlussbemerkung
10.Bibliografie
Timm-Studie
1.Inhaltsverzeichnis
2.Zusammenfassung
3.Einleitung
4.Hugo Boss
5.Firmengesch. vor 45
6.Firmengesch. nach 45
7.Entnazifizierung
8.Abbildungen
9.Literatur
10.Quellen
11.Recherechebericht
Impressum
Presse-Veröffentlichung
5. Das

In einer Gemeinderatssitzung am 30.5.1941 berichtete Bürgermeister Otto Dipper, dass die Unterbringung der damals 160 Zwangsarbeiter überwiegend in Privathaushalten und dezentralen Barackenlagern bei den beschäftigenden Firmen "zum Teil zu Missständen geführt" habe. Ortsgruppenleiter Mader bemängelte, dass das Verhalten mancher Polinnen und Französinnen "allgemeines öffentliches Ärgernis errege". Gemeint sind damit Beziehungen zum männlichen Teil der deutschen Bevölkerung.

Aus diesen Gründen wurde im September 1942 nach Plänen des Stadtbaumeisters Kull auf dem städtischen Grundstück "Auf Schanden" gegenüber der Sägerei Ziegler das Ostarbeiterlager errichtet. Das Lager sollte genossenschaftlich betrieben werden. Große Kontingente hielten die Firma Henning (50), die Stadt Metzingen (35), die Firma Hugo Boss (30) und die Firma Gebrüder Holder (30) (siehe Anlage). Die Anteilseigner trafen sich regelmäßig zu Gesprächsrunden mit Bürgermeister Otto Dipper im Rathaus. Über diese Zusammentreffen existieren detaillierte Protokolle.

Am 19.9.1942 wurden in der ersten Versammlung Ernst Henning und Ernst Ruth zu den Geschäftsführern gewählt. Als Lagerführer wurde Friedrich Hammer bestimmt. Bei der Volksbank wurde ein Konto eingerichtet. Die Gesellschafter zahlten entsprechend ihrer Anteile Geld ein.

Untergebracht waren die Arbeiter in Baracken für je 60 Mann. Insgesamt sollte das Lager Platz für 300 Arbeiter bieten.  Lagerführer Hammer berichtete am 25.11.42, dass die Einrichtung einer Kantine geplant sei, in der die Lagerinsassen Bier, Mineralwasser, Schuhputzzeug und dergleichen erwerben können. Dr. med. Bornhäuser übernahm die medizinische Betreuung, alle drei Tage sollte es einen Sprechtag geben. Lagerführer Hammer berichtete am 23.12.42 gegenüber dem Vorstand der Gesellschaft, das Essen im Lager sei sehr gut und reichlich. Bürgermeister Otto Dipper besuchte selbst das Lager, um sich durch Kostproben von der Qualität des Essens zu überzeugen.

Dass sie Gefangene sind, bekamen die Arbeiter trotzdem zu spüren. So durften sie das Lager am Abend nur in Fünfergruppen verlassen. Eine Person musste sich gegenüber der Lagerführung als "Beauftragter" erklären, es wurde ein Ausweis ausgegeben. Die Wachkräfte müssten unbedingt bewaffnet werden, erklärte Ernst Henning in einer Versammlung am 26.2.43. Von Anfang an machte die Belegung des Lagers Probleme, was vor allem zu wirtschaftlichen Nachteilen führte. So wollte die Firma Robert Bräuchle ihr eigenes Arbeitslager nicht aufgeben. Vorstand Henning erwog darauf hin, auch Franzosen und Belgier in das Lager aufzunehmen. Die Firmenchefs zögerten mit einer Überweisung, weil sie fürchteten, die Arbeitskraft ihrer Arbeiter würde geschmälert.

Um das Lager zu füllen und den Widerstand der Firmenchefs zu brechen, holte sich Ernst Henning Unterstützung. Zu der Vollversammlung aller Gesellschafter am 5.3.43 hatte er Ortsgruppenleiter Gerhard Mader eingeladen. Nachdrücklich sprach sich Mader für eine vollständige Einweisung aller Ostarbeiter in das Lager aus. Und er hatte Erfolg. Ein Vertreter der Firma Hugo Boss erklärte, dass die Polinnen, die zum Teil schon seit drei Jahren in Metzingen waren, sich bei ihren Zimmervermieterinnen häuslich niedergelassen hätten und dort auch im Haushalt helfen würden. Gleichzeitig erklärte er sich jedoch bereit, die Polinnen in das Lager zu überweisen.

In seinem Bericht über den Zeitraum von Dezember 42 bis März 43 wies Hammer am 16.4.43 auf einen erheblichen finanziellen Verlust hin. Rentabilität sei erst zu erreichen, wenn 100 bis 150 Insassen im Lager wären. Um Kosten zu sparen, mussten die Lagerinsassen selbst Gemüse anbauen.

Bei der Gesellschafterversammlung am 27.9.1943 wurde besprochen, dass die Ostarbeiter Luftschutzgräben am Lager  ausheben müssen. Den Zwangsarbeitern war es nicht erlaubt, den gleichen Schutzraum wie die Metzinger aufzusuchen. Als 1945 die Angriffe häufiger wurden und Zwangsarbeiter im Luftschutzstollen “Im Auchtert” Zuflucht suchten, wurden sie von Metzingern vertrieben. Lagerführer Hammer wollte seinen Posten abgeben, der Umgang mit den verschiedenen Nationen und die Situation im Lager rege ihn so sehr auf, dass er nachts nicht mehr schlafen könne.

Unter den Zwangsarbeitern selbst gab es große Rangunterschiede. Die deutlich kleinere Zahl Westarbeiter erwartete eine bessere Behandlung als ihre Leidensgenossen aus dem Osten. Die Westarbeiter, die in erster Linie aus Frankreich und den Beneluxstaaten stammten, waren zum Teil freiwillig nach Deutschland gekommen oder aber als Kriegsgefangene verschleppt worden. Für Bürgermeister Dipper war es keine Frage, dass bei einer Aufnahme von Westarbeitern in das Lager ein separater Speisesaal eingebaut wird.

Selbst unter den Polen gab es Rangunterschiede. Auf der Gesellschafterversammlung am 3.12.1943 wird folgender Vorfall diskutiert. Mehrere Polinnen, die gut deutsch sprachen, sogenannte “eindeutschungsfähige Polen” hatten sich über verlauste Baracken beschwert und gefordert, wie die Französinnen behandelt zu werden. Die Firmenchefs waren bemüht, möglichst wenig Probleme mit den Arbeitern zu haben, für sie stand maximale Arbeitsleistung im Vordergrund. Die Versammlung beschloss darauf hin, den betroffenen Polinnen eine Unterbringung in einem separaten Raum zu ermöglichen.

Gegen Ende des Krieges wurde auch in Metzingen die Versorgungslage immer schlechter. In der Versammlung vom 9.2.1944 berichtete Lagerführer Hammer von den Schwierigkeiten, Gemüse, Kartoffeln und Sauerkraut zu bekommen. Hugo Boss stellte deshalb den Antrag, seine Arbeiterinnen in der Werkskantine versorgen zu können. Im Protokoll ist vermerkt, dass Hugo Boss betonte, er wolle mit dieser Maßnahme keine besondere Fürsorge für die Polinnen erreichen. Es handle sich für ihn nur um eine Sicherstellung der Arbeitsleistung, da die Verpflegung, die die Arbeiterinnen im Lager erhalten, nicht ausreiche um eine ordnungsgemäße Arbeitsleistung sicherzustellen. Nach diesem Statement entbrannte eine Diskussion. Der wieder anwesende Ortsgruppenleiter Mader sagte, die Verpflegung im Lager sei politisch gewollt. Am Ende einigte man sich auf den Kompromiss, dass die Arbeiterinnen zwar in der Werkskantine versorgt werden dürfen, allerdings erst in der nächsten Versorgungsperiode.

In einem Entnazifizierungsschreiben gibt Boss später an, die Lagerverpflegung sei ein "menschenunwürdiger Fraß gewesen(..) mit dem kein Mensch arbeiten könne".

Auch bei anderen Einsparungen waren zuerst die Zwangsarbeiter betroffen. So forderte ein Schreiben des württembergischen Innenministers vom 6.12.1944 den Bürgermeister auf, Entbindungen von Ostarbeiterinnen im Krankenhaus zukünftig nicht mehr zu zulassen. Der Mangel von Krankenhausbetten zwinge zu dieser Maßnahme, die schwangeren Frauen sollen in "Wochenstuben" zu Hause bei den Hebammen entbinden. Im Metzingen konnte dies trotz Bemühens des Bürgermeisters nicht umgesetzt werden, weil sich keine Hebamme fand, bei der dies möglich gewesen wäre.

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