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Kober-Studie
1.Thema
2.Begriff Zwangsarbeiter
3.Zwangsarbeiterdiskussion
4.Metzingen im 3. Reich
5.Das
6.Leben als Zwangsarbeiter
7.Die Firma Hugo Boss
8.Positive Beispiele
9.Schlussbemerkung
10.Bibliografie
Timm-Studie
1.Inhaltsverzeichnis
2.Zusammenfassung
3.Einleitung
4.Hugo Boss
5.Firmengesch. vor 45
6.Firmengesch. nach 45
7.Entnazifizierung
8.Abbildungen
9.Literatur
10.Quellen
11.Recherechebericht
Impressum
Presse-Veröffentlichung
7. Die Firma Hugo Boss

Firmengeschichte

 

Die Firmengeschichte des heutigen Weltkonzerns beginnt 1924 in der Kronenstraße 2 mit der Gründung einer Kleiderfabrik. Eugen Holy kommt Ende der 20iger Jahre in den Betrieb und heiratet die Boss-Tochter Gertrud 1931. Nach mehreren Geschäftskrisen während der schlechten Wirtschaftslage und dem Eintritt des Firmenchefs Hugo Boss in die NSDAP am 1.April 1931, hatte sich der Betrieb als Lieferant von SA-, SS-, HJ- und Wehrmachtsuniformen stabilisiert. Weil Mitte der 30er Jahre mit Beginn der Aufrüstung immer mehr Wehrmachtsaufträge kamen, wurde die Belegschaft von 22 Beschäftigten im Jahr 1930 auf 99 im Jahr 1937 erhöht. Außerdem erfolgte 1938 der Umzug in die Kanalstraße, wo sich heute der Fabrikverkauf befindet.

Die Uniformaufträge kamen nicht von ungefähr, die Firmenoberen waren alle bekennende Nazis. “Die Boss waren alles große Verehrer von Adolf Hitler”, sagt die ehemalige Näherin Pauline Kuder . Ihre ehemalige Kollegin Edith Poller berichtete: "Einer der Betriebsleiter, mit Namen Schmid, kam nur in Uniform ins Geschäft. Er hat nur mit “Heil Hitler” gegrüßt, wer das nicht tat, ist aufmerksam gemacht worden, dass man mit dem deutschen Gruß zu grüßen hat". Auch die Näherin Pauline Kuder bestätigt: Der Schmid war ein arger Nazi. Als ich eines Morgens in letzter Minute kam, sagte ich Guten Morgen, dann hat er mich am Kragen gepackt und wieder zur Türe hinausgezogen. Er sagte, ob ich nicht wisse, wie der deutsche Arbeiter grüße, dann hab ich mit “Heil Hitler” grüßen müssen.”

Im Entnazifizierungsverfahren gegen Hugo Boss wurde der Firmenchef anfangs als "belastet" eingestuft, später jedoch auf "Mitläufer" reduziert. Der Metzinger Albert Fischer sagte jedoch in einer Befragung durch das Stadtarchiv Metzingen aus: “Der alte Boss war ein Obernazi. Der hatte noch 1945 ein Bild in seiner Wohnung hängen, als er auf dem Obersalzberg war beim Führer. Da hatte er sich neben dem Führer aufnehmen lassen.”

Auf Hugo Boss, der am 9. August 1948 an einem vereiterten Zahn starb, folgte sein Schwiegersohn Eugen Holy als Firmenchef. Dessen Söhne Uwe und Jochen Holy begründeten in den siebziger Jahren den heutigen Erfolg der Hugo Boss AG. Im Geschäftsjahr 2000 machte das Unternehmen einen Umsatz von 1,8 Milliarden Mark und einen Gewinn von 213 Millionen Mark.

 

 

Zwangsarbeit

 

Im Frühjahr 1940 fährt der Vertreter Martin Eberhard im Auftrag von Hugo Boss nach Südpolen, um dort mit Hilfe der Gestapo Arbeiter anzuwerben. Eberhard brachte per Zug in einem extra Waggon vier Männer und sechzehn Frauen gegen ihren Willen als die ersten Zwangsarbeiter der Firma Boss nach Metzingen.

Insgesamt waren in der Zeit des Nationalsozialismus bei der Firma Boss 30 bis 40 französische Kriegsgefangene und 150 Zwangsarbeiter beschäftigt. Der Frauenanteil betrug über 75 Prozent, das Durchschnittsalter lag zwischen 20 und 25. Arbeiter sowohl aus West- als auch aus Osteuropa waren bei Boss beschäftigt.

Die Zwangsarbeiter mussten wie die deutsche Belegschaft von sechs bis 18 Uhr arbeiten und wurde offiziell mit 75 Mark pro Woche bezahlt. Davon blieben jedoch nach Abzug von Miete und Verpflegung nur etwa 50 Mark im Monat übrig.

Untergebracht waren die Zwangsarbeiter in einem Barackenlager auf dem Gelände des heutigen Parkplatzes für den Fabrikverkauf, im Ostarbeiterlager und bei Privatpersonen im Stadtgebiet.

 

 

Berichte ehemaliger Zwangsarbeiter bei Hugo Boss

 

Anna Wocka geb. Gisterek, 77, Zwangsarbeiterin bei Hugo Boss

  Anna Gisterek wird am 17.5.1924 in Oswiecim geboren. Sie ist die jüngere Schwester von Josefa Gisterek, die am 23.3.1921 ebenfalls in Oswiesim geboren wurde. Am 10.5.1940 wird Anna nach Metzingen deportiert und dort in der Firma Hugo Boss zu Zwangsarbeit gezwungen. Sie erinnert sich: “Ein Mitarbeiter der Firma Hugo Boss, ein Herr Eberhard war im Frühjahr 1940 in Polen. Er suchte persönlich 20 Personen (vier Männer und 16 Frauen) aus und brachte diese mit der Polizei nach Bielsko-Biala (die nächste größere Stadt), von wo aus der Zugtransport nach Metzingen begann.” Das 16jährige Mädchen Anna ist in einer privaten Wohnung auf einem Bauerhof in der Wiesenstraße 9 bei Maria Speidel untergebracht, zusammen mit einer anderen Arbeiterin. Die Nahrungsmittelversorgung sei sehr spärlich, die hygienischen Bedingungen aber gut gewesen, erinnert sich Anna Wocka, geborene Gisterek.

Im Oktober 1941 wird Annas ältere Schwester Josefa im Alter von 20 Jahren ebenfalls gegen ihren Willen zur Zwangsarbeit nach Metzingen gebracht. Auch sie muss bei Hugo Boss arbeiten und wohnt mit ihrer Schwester in der Wiesenstraße. Die Arbeitszeiten bei Boss sind sechs bis 18 Uhr. Anna erinnert sich noch gut an Hugo Boss: “Er war ein großer, dicker Mann mit blonden Haaren, der sich oft in der Firma aufhielt”. Ihre Aufgabe ist es, Knöpfe an die Militäruniformen zu nähen, die damals bei Boss hergestellt werden. Wenn die Haushälterin von Hugo Boss krank ist, hilft Anna auch im Haushalt des Firmenchefs mit.

“Für die Arbeit in der Fabrik wurden mir in der Woche 75 DM bezahlt, davon ging aber die Miete und das Mittagessen ab, so dass 50 DM im Monat übrig blieben. Manchmal reichte das Geld nicht einmal für etwas Brot”, so Anna Wocka.

Im Dezember 1941 berichtet der Vater seinen Töchtern von einem Unfall der Mutter und bittet um Hilfe bei der Versorgung der weiteren acht Kinder. Josefa Gisterek beantragt bei ihrem Arbeitgeber Urlaub, der jedoch mit der Begründung, sie habe zu kurz für das Unternehmen gearbeitet, abgelehnt wird. Daraufhin entschließt sich Josefa zur Flucht. Mit ihrem gesamten Geld und dem ihrer Schwester flüchtet sie durch ganz Deutschland in ihre Heimatstadt Oswiecim.

Am 4. Januar 1942 bricht Anna Wocka im Rahmen ihres regulären Urlaubs ebenfalls nach Oswiecim auf. Dort trifft sie ihre Schwester allerdings nicht mehr an, die Gestapo hatte sie bereits verhaftet. “Die Gestapo verhaftete meine Schwester in unserem Elternhaus und brachte sie in verschiedene Konzentrationslager. Die Namen nannte sie niemals. Dort wurde sie sehr gewalttätig behandelt und oft auf den Kopf geschlagen. Innerhalb meines 12tägigen Urlaubs wollte ich meine Schwester zurückholen, aber da war sie schon von der Gestapo abgeholt worden”, so Anna Wocka. Im Gestapo Gefängnis Myslowice (bei Katowice) verliert sich ihre Spur. Im benachbarten Konzentrationslager Auschwitz ist ein großer Teil der Akten über weibliche Häftlinge vernichtet worden. Auch die allermeisten Gestapo-Akten wurden noch vor Kriegsende vernichtet. In welchen Lagern Josefa Gisterek inhaftiert war, ist also noch nicht endgültig rekonstruierbar.

Im März 1943 wurde Josefa Gisterek zurück nach Metzingen gebracht, wo sie wieder bei Frau Speidel in der Wiesenstraße untergebracht war. Trotz ihres vorangegangenen Aufenthalts in mehreren Konzentrationslagern und den daraus hervorgehenden Kopfverletzungen wurde sie bei Hugo Boss zur Arbeit gezwungen. “Sie sah sehr schlimm aus, als sie wieder nach Metzingen gebracht wurde. Trotzdem musste sie wieder bei Boss arbeiten. Der Kappo der Firma Boss hat sie zum Arbeiten gezwungen, obwohl sie schon sehr krank war und starke Kopfschmerzen hatte. Erst nach langem Bitten wurde ihr ein Arztbesuch bei Doktor Bornhäuser gestattet. Sie war so schwach, dass sie nach einer Spritze bewusstlos wurde”, erinnert sich ihre Schwester Anna Wocka.

Am 5.7.1943 nimmt sich Josefa Gisterek im Hause Speidel mit Gas das Leben. Sie hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen, nur ein Gedicht in ihrem Tagebuch. Zur Beerdigung im Juli 1943 reisen auch die Eltern aus Polen an, die am offenen Sarg in der Friedhofskapelle Abschied von ihrer Tochter nehmen. Der katholische Pfarrer Alois Schmitt beerdigt sie nicht, Suzid wird damals noch strenger bewertet. Die Beerdigungskosten übernimmt Hugo Boss, der Familie wird jedoch keine weitere finanzielle Hilfe gewährt.

Auch nach dem Tod ihrer Schwester muss Anna Wocka weiter bei Hugo Boss arbeiten. Erst 1944 wird sie zu den Röhrenwerken Rieber in Reutlingen versetzt. Am 8.12.1945 kehrt sie mit einem amerikanischen Transport in ihre Heimat zurück. Sie heiratet, wird Mutter von vier Kinder und arbeitet als Kindergärtnerin. Sie sagt: “Ich bin 77 Jahre alt und sehr krank, aber ich würde gerne noch einmal nach Metzingen zurückkommen und das Grab meiner Schwester sehen.”

Familie Gisterek bei der Beerdigung                             

 

 

Jan Kondak, 76, Zwangsarbeiter bei Hugo Boss

 

Jan Kondak wurde am 10.4.1925 in Wadowice (Nähe Krakau) geboren, von wo aus er zwangsweise nach Deutschland gebracht wurde. In Metzingen musste er vom 27.11.1942 bis zum 24.4.1945 bei der Uniform- und Kleiderfabrik Hugo Boss arbeiten. Seine Aufgabe während der achtstündigen Arbeitszeit war die Reinigung der Maschinen. Zusammen mit anderen bei Boss beschäftigten Russen und Polen war Kondak im betriebseigenen Lager untergebracht, später im Ostarbeiterlager. Die hygienischen Bedingungen beschreibt er als schlecht: “In den Baracken waren Läuse und Flöhe”. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln sei schlecht gewesen. Vom Lager zur Firma durften sich die Zwangsarbeiter ohne Bewachung bewegen, jedoch mussten sie sich innerhalb einer festgesetzten Zeit anmelden. Jan Kondak fühlte sich von den Chefs, die er an Hand ihrer Uniformen als Nazis erkannte, im Vergleich zu den deutschen Arbeitern benachteiligt. Bei Luftangriffen durfte Kondak nicht in die offiziellen Schutzräume, sondern musste in die Fabrik. Über Hugo Boss sagt er: “Für die nicht bezahlte Zwangsarbeit soll er sich schämen. Er hat sich durch uns reich gemacht”.

 

 

Elzbieta Kubala-Bem, 80, Zwangsarbeiterin bei Hugo Boss

 

Ich wurde am 17. November 1921 in Jasienica geboren. Im Alter von 19 Jahren, im April 1940, hat mich die Gestapo bei einer Straßenrazzia aufgegriffen. Ein Herr Eberhard von der Firma Hugo Boss hat mit der Gestapo zusammengearbeitet. Herr Eberhard war für den Transport verantwortlich. Mit dem Transport wurden auch andere Arbeiter nach Reutlingen und Tübingen geschickt. Der Zugtransport führte über Ulm und dann entlang der Donau in ein Sammellager, wo die Desinfektion durchgeführt wurde. Für die Boss-Arbeiter war ein extra Waggon reserviert. Zwei Tage mussten wir im Stall übernachten und wurden von einem Arzt untersucht. Später hat uns dann Herr Eberhard mit der Wehrmacht nach Metzingen gebracht.

In Metzingen musste ich ab dem 26. Mai 1940 bei Hugo Boss als Näherin, sowie in der Küche des Gasthofs “Baumann” (beim Rathaus) arbeiten. Als Lohn für unsere Arbeit bekamen wir sechs, sieben Mark in der Woche. Das erste Jahr war ich im Ostarbeiterlager untergebracht, ab 1942 konnte ich im Gasthof wohnen. Auch ich musste die ganze Zeit den Annäher mit dem “P” tragen. Ich hab das “P” bis heute. Bei Boss betrug die Arbeitszeit 12 Stunden, im Gasthaus musste ich noch einmal vier Stunden in der Küche helfen. Zu deutschen Arbeitern durften wir keinen Kontakt haben und umgekehrt auch nicht. Die Chefs bei Boss waren immer diplomatisch und unfreundlich. Eine Sonderbehandlung für Kinder oder schwangere Frauen gab es nicht. Auch gab es keine Möglichkeit, einen Arzt zu besuchen. Bei Krankheiten haben wir uns selbst geholfen. Aus meiner Zeit in Metzingen habe ich ein Rheumaleiden. Schutzräume während Luftangriffen standen nur den Deutschen zur Verfügung.

1942 bin ich nach Hause geflohen, meine Mutter war krank. Die Zugfahrkarte hatte mir die Besitzerin des Gasthofs “Baumann” bezahlt. Weil mich die Gestapo suchte, bin ich selbst wieder nach Metzingen zurück gekommen. Von da an musste ich mich jeden Tag bei der Polizei melden.

Nach der Befreiung durch die Alliierten 1944 war ich eine der ersten, die nach Hause zurückkehrten. Wir sind gleich nach der Befreiung aus dem Lager geflohen. Nach der Rückkehr in die Heimat war ich fünf Jahre lang krank. Danach begann ich als Buchhalterin in Bielsko zu arbeiten und bekam drei Kinder.

Von der Debatte um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter bin ich enttäuscht. Es wird zu viel geredet und es gibt kein Geld. Die warten bloß bis wir sterben, dann müssen sie nicht bezahlen. Ob ich eine Einladung nach Metzingen annehmen würde? Nein, ich kann nicht mehr nach Metzingen kommen, ich bin schon 80 Jahre alt und herzkrank. Aber mein Sohn und mein Enkel würden sehr gern die Reste des Lagers und die Fabrik von Hugo Boss sehen, wo ich schuften musste.

 

 

Maria Klima, 72, Zwangsarbeiterin bei Hugo Boss

 

Zunächst möchte ich Ihnen einige Fragen stellen:

  • - Haben Sie jemals in einem schmutzigen Bett geschlafen, auf das es geschneit hat?
  • - Hat Sie schon einmal jemand ins Gesicht geschlagen, weil sie einen Apfel vom Boden aufgehoben haben?
  • - Haben Sie schon einmal zusammen mit 20 Personen im Alter von 14 bis 40 gebadet?
  • - Haben Sie schon einmal Heiligabend in einem Lager verbracht?
  • Ich könnte noch viele weitere Fragen stellen. Am 1. Mai 1943 wurde ich im Alter von 14 Jahren alleine nach Metzingen gebracht und musste in der Uniformfabrik Hugo Boss arbeiten. Zunächst war ich privat untergebracht, später dann im Ostarbeiterlager. Dort war die Versorgung mit Nahrungsmitteln schlecht. Das Zeichen “P” musste ich die ganze Zeit an meiner Kleidung tragen. Bei Hugo Boss haben wir Uniformen für die Wehrmacht genäht, wir mussten 12 Stunden am Tag arbeiten. Unter den Chefs gab es einige Nazis. Man konnte sie am Verhalten erkennen, sie nannten uns “Polenschweine”. Der Herr Boss war angeblich ein Nazi, aber zu uns jungen Leuten war er freundlich. Zu den Metzingern hatten wir kaum Kontakt, ich glaube, die Deutschen hatten Angst vor uns.

 

 

 

Im Juni 2000 ist die Hugo Boss AG der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der Zwangsarbeiter beigetreten. Als freiwillige Richtgröße für eine Beteiligung nennt die Stiftung für produzierendes Gewerbe ein Promille des Jahresumsatzes. Die Hugo Boss AG machte 1999 einen Umsatz von 1,47 Milliarden Mark. Die Arbeit von Elisabeth Timm wurde bisher von der Hugo Boss AG nicht veröffentlicht, sondern nur einigen Journalisten und Archiven zugänglich gemacht.

Zu den Berichten von Anna Wocka über das Schicksal ihrer Schwester Josefa will Boss-Pressesprecher Godo Krämer keine Stellung nehmen.

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